30.08.2010
Corner College, 19 Uhr

Re-Enactments und Aktualisierungen
Kerstin Stakemeier

Die Vergangenheit steht hoch im Kurs der Gegenwart. Das tat sie bereits in hochmodernen Zeiten, zu Beginn des letzten Jahrhunderts, als „das Neue“ noch offen angesteuert wurde und die Vergangenheit als Abstossungspunkt herhalten musste. Heute scheint die Vergangenheit der Gegenwart den Rang abgelaufen zu haben, scheint die Bewegung sich umgekehrt zu haben. „Das Neue“ wird für die Gegenwart verschämt als ideologische, modernistische Figur weit von sich gewiesen, während es als Figur der Moderne, als Zitat der eigenen Vorvergangenheit allgegenwärtig ist. In den unzähligen modernistischen und konzeptuellen Referenzen und Zitaten die in der Gegenwartskunst zirkulieren, tritt die Gegenwart nicht selten die Verantwortung für ihre Formen, Themen und Zusammenhänge an die Vergangenheit ab, die ihre Legitimation und kulturelle Distinktion verspricht. Der seit Jahren nicht abreissende Trend dazu in der Gegenwartskunst Historisches als Formatvorlage zu benutzen und es in Re-enactments und Historisierungen als Widergänger und visuelle Authoritäten einzusetzen, die der eigenen Arbeit, der eigenen Ausstellung, dem eigenen Text eine Berechtigung geben, die der Gegenwart selbst nicht eigen zu sein scheint, hat sich mittlerweile zu einer eigenen Untergattung verdichtet. Immer schon lag im Kern der institutionskritischen Kunst die Recherche. Doch jetzt, wo in Europa zentrale Institutionen der Gegenwartskunst die Kritik als ihr Label angenommen haben, reicht der historische Bezug selbst aus, um die eigene Kritikalität zu demonstrieren. Mit der historischen Referenz wählt man das Erbe das man antreten möchte: in meinem Fall, das des Realismus. An seinem Beispiel möchte ich versuchen in unterschiedlichen historischen und gegenwärtigen Arbeiten und Projekten die Differenz zwischen Re-enactment und Aktualisierung nachzuvollziehen, den Unterschied zwischen einem authoritären Zitat der Vergangenheit als untoter Legitimation und den Versuchen ihre vergangene Gegenwärtigkeit ins Heute zu übersetzen und die Verantwortung die sie bedeutete zu aktualisieren.



Kerstin Stakemeier (*1975) lives and works in Berlin (G) and Maastricht (NL). She received a Dipl.rer Pol. from FU Berlin and an M.A. in History of Art from University College London, where she currently completes her PhD on the “Entkunstung of Art”. She has worked for a number of institutions, including the Kunstverein in Hamburg (G) and the Museum für Gegenwartskunst Basel (S), initiated the Space for Actualization with Nina Köller in 2007/2008 and writes a.o. for Texte zur Kunst, Afterall, and Phase 2. At the moment she is a researcher at the Jan van Eyck Academie, working on a project on Realism in contemporary art.