19.1.2010
Master of Fine Arts ZHdK, 12-18 Uhr

The essay as conformism?
Hito Steyerl

Hito Steyerl überprüft in ihrem Referat das Essayistische als widerständige Form. Dabei hinterfragt sie, anhand der eigenen Arbeiten, jene Qualität, die Theodor Adorno dem Essay zugeschrieben hatte:

„[...] der Terminus Essayfilm stammt möglicherweise vom Experimentalfilmer Hans Richter. Dieser schreibt 1940 im Exil in der Schweiz den Text ‚Der Essayfilm - eine neue Form des Dokumentarflims’. Laut Richter produziert der Essayfilm komplexes Denken, lässt der Einbildungskraft und Imagination freien Lauf und bezeichnet eine Komposition, die zwischen den Kategorien stattfindet.
Einst galt der Essay als widerständige Form. Adornos Aufsatz von 1958 Der Essay als Form stellt den Essay als rebellischen Impuls dar, der versucht Dinge zusammenzubringen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben, der auf dem Heterogenen insistiert, Kategorien durchkreuzt, queert, und stellt damit den Identitätszwang als solchen in Frage. Heute aber sind diese Qualitäten konform geworden, der Essay benimmt sich wie ein autarkes, selbstständiges, gut angepasstes, neoliberales Subjekt. Diese Feier der Differenz ist nicht mehr so widerständig, wie Adorno einst dachte. Wer sich heute mit dem Essay beschäftigt sollte bedenken, dass die vorherschenden Produktionsweisen selbst essayistisch geworden sind.
Noch immer aber kann der Essay Bezüge zwischen Dingen und Menschen herstellen, die so nicht vorgesehen sind. Dziga Vertov beschrieb dies als Herstellen von audiovisuellen Verbindungen. In welcher Art von Horizontalität müssten solche Verbindungen heute verlaufen, um den globalen Informationskapitalismus  zu umgehen, an den dominanten Netzwerken vorbeizuschrammen und andere Verknüpfungen herzustellen.“


Hito Steyerl arbeitet als Filmemacherin, Videokünstlerin und Autorin in den Bereichen essayistischer Dokumentarfilm und postkolonialer Kritik sowohl als Produzentin als auch als Theoretikerin. Die Arbeiten sind an der Schnittstelle zwischen Film und bildender Kunst verortet. Wichtigste Themen: kulturelle Globalisierung, politische Theorie, globaler Feminismus und Migration. Weitere Tätigkeiten umfassen Arbeiten als politische Journalistin, Film- und Kunstkritik, Katalog- und Buchautorin. Ihre Filme wurden mit internationalen Preisen ausgezeichnet und werden in vielen Ländern im Fernsehen ausgestrahlt. Doktorin der Philosophie, Gastprofessorin für Experimentelle Mediengestaltung an der Universität der Künste, Berlin, zahlreiche Lektorate an Kunst- und Filmhochschulen in Wien, München, Hannover, etc.
Neue und neu erscheinende Bücher: Tester, Hg.: Fondacion Rodriguez, Marina Grzinic, Jose Maria Mariategui, Marcus Neustetter, Oliver Ressler, Hito Steyerl 2004, Arteleku, San Sebastian. Die Farbe der Wahrheit, 2008 Turia + Kant, Wien.